Sonntag, 30. Dezember 2012

 


...was denkt sich Kommissar Oliver Hell zum nun beinahe abgelaufenen Jahr 2012...

 
Oliver Hell saß in seinem Büro. Er war alleine, blickte aus dem Fenster auf die Häuserzeile gegenüber. Das Licht war silbern, so wie es immer um diese Tageszeit war. Seine Mitarbeiter hatte er nach Hause geschickt. Schluß für heute, hatte er gesagt.
 
Sie hatten ihn alle drei ungläubig wie Schafe angesehen, Klauk hatte sogar beinahe einen Einwand vorgebracht, doch hatte ihn Wendt dann mit einem energischen Schubser aus dem Büro gedrängt.
 
"Los geh, bevor er es sich wieder anders überlegt", hatte er gesagt. Meinhold hatte ihm noch einen dankbaren Blick zugeworfen. Er fühlte sich in seiner Entscheidung bestätigt. Sie hatte es sich verdient.
 
Es war der 31.12.2012. Jahreswechsel. Für viele ein Tag zum Feiern, zum Besinnlich werden. Oliver Hell sah in dem Datum nur einen Tag wie jeder andere. Wie einen Monatswechsel. Keiner trauerte einem vergangenen Monat hinterher, wieso sollte man dann einem Jahr hinterhertrauern? Vergebene Zeit.
 
Dazu war Hell viel zu pragmatisch. Es gab nur wieder neue Statistiken, neue Zahlen über Kriminalität. Das eine Delikt hatte zugenommen, während das andere zugelegt hatte. Zahlenspiele für Statistiker. Mathematiker, die ihre Daseinsberechtigung bescheinigt bekamen. Wenn man es genau nahm, dann war es auch ein Spiegel der Erfolge der Polizei.  Hell sah das anders. Für ihn zählte nur seine eigene Statistik. Die las sich für dieses Jahr wie folgt: einen gefährlichen Serienmörder dingfest gemacht. Dabei beinahe eine Kollegin verloren. Wäre es wirklich dazu gekommen, dann wäre die Statistik für dieses Jahr in ein böses Ungleichgewicht gefallen. Und er schrieb sich diese Situation zu einem gewissen Teil auf seine eigene Fahne. Wäre er nicht durch die Probleme mit seinem Sohn zu sehr abgelenkt gewesen, dann hätte er sicherlich die feinen Schwingungen bemerkt. er hatte sie nicht bemerkt, oder er wollte sie nicht bemerken, weil er den Kopf voll hatte.
 
Ein Vorsatz für das nächste Jahr leutete also: pass wieder besser auf deine Mitarbeiter auf. Sie sind dein Kapital. Du bist ihr Teamleiter. Sie sind wie deine Kinder.
 
Vom Alter her könnte das ja durchaus sein, die drei waren alle knapp über dreißig oder ein bisschen drunter. Christoph. Sein Sohn. Die Therapie schien Früchte zu tragen, nicht zuletzt durch das Zutun von Dr. Leck. Es blieb abzuwarten, ob sich das Vater-Sohn-Verhältnis normal einpendeln würde.
 
Mit gemischten Gefühlen betrachtete Hell die allgemeine Situation in Deutschland. Außenpolitisch wie auch innenpolitisch.
Der vereitelte Anschlag mit vermutlich islamistischen Hintergrund auf den Bonner Bahnhof. Bis zum heutigen Tag wurde noch nach den Drahtziehern und auch nach den Beteiligten gesucht. Eigentlich ein Armutszeugnis für den Staatsschutz und auch für die Polizei. Salafisten. Er hatte selber einmal einen Menschen erlebt, der völlig neben sich stand. Der hatte sich während einer polizeilichen Ermittlung als völlig Unbeteiligter plötzlich auf einen der Beamten geworfen und laut nach 'Allah' gerufen. Alle Polizisten seien Mörder, alle Ungläubigen würden in der Hölle brennen, hatte er gerufen. Es bedurfte mehrerer Kollegen um den Mann schließlich in Gewahrsam zu nehmen.
 
Bei den Krawallen im Mai war der Mann, der mehrere Polizisten mit einem Messer attackiert und verletzt hatte, schließlich überwältigt, vor Gericht gestellt und verurteilt worden. Jetzt gab es ein Internetvideo, in dem seine Gesinnungsgenossen drohen Bundesbürger zu entführen, um den Mann freizupressen. Hell war ein Verfechter von Multikulti. Er liebte seinen Türken, bei dem er einkaufte, er ging zum Chinesen oder zum Thailänder um lecker zu essen. Alles Fremde kann ein Land nur bereichern. Diese Salafisten dagegen konnten nur Hass sähen und die Bevölkerung gegen sich und den Islam aufbringen.
 
Bis zum heutigen Tage hatte er noch nie gegen sie ermitteln müssen und er hatte Angst vor dem Tag, wo er und seine Familie und sein Team vielleicht zur Zielscheibe dieser Menschen werden würde.
 
Hell wählt seit Menschengedenken die Grünen. Jetzt hieß es, Deutschland verkauft Panzer nach Saudi-Arabien. Wie zur Hölle konnte ein Land, dass einen ständigen Sitz bei den Vereinten Nationen anstrebte, bloß so sehr von der Rüstungsindustrie geknebelt werden? Solange, wie Frau Merkel und der Mann im Rollstuhl, der Strippenzieher, wie Hell ihn gerne nannte, an der Regierung waren, würde sich auch nichts an dieser Politik ändern.
 
Der Euro? Lohnte es sich darüber noch nachzudenken? Nein.  
 
Er knipste die Bürolape aus, legte den Aktenordner, mit dem er die ganze Zeit gedankenverloren gespielt hatte, auf den Stapel. Dann stand er auf, schob den Bürostuhl mit den Armlehnen unter den Tisch und knipste beim Rausgehen das Licht aus. Ein kurzer Blick noch auf das Dämmerlicht, dass sich draußen ausbreitete und die Bürotüre fiel das letzte Mal für das alte Jahr ins Schloss.
 

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